Und damit meine ich jetzt nicht einfach nur die Schnappschüsse aus dem letzten Urlaub oder die schönen Wiesenblumen im Sonnenlicht. Nein, ich meine die Fotos aus dem Leben, aus dem Leben eines Menschen von den Menschen, die einem nahe stehen, die einen durch das Leben begleiten. Zum Beispiel Bilder der Schwester, die einen schon fast 80 Jahre lang durch’s Leben begleitet. Die einzige, die noch weiß, wie es früher Daheim war. Die Einzige, weil alle anderen aus der eigenen Kindheit schon lange nicht mehr da sind. Das Foto vom Vater, der Mutter. Fotos vom Daheim als Kind, vom Daheim als Vater. Und natürlich Bilder der eigenen Kinder und Enkel.
Mein Vater ist knapp 80 Jahre alt und dement. Dass er mich bei meinen Besuchen zum X. mal das Gleiche fragt, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Ich habe auch gelernt ruhig und gelassen immer wieder das Gleich zu antworten.
Wenn ich ihn besuchen komme, sitzt er meist mit einer Schachtel alter Fotos in der Küche und betrachtet sie. Er würde das fast jeden Tag machen, sagte mir meine Stiefmutter. Er würde auch immer wieder fragen, wer denn die kleinen dicken Babys auf dem Foto wären. Es sind seine inzwischen erwachsenen Enkel.
Ich hielt es anfangs für einen Splin, bis ich merkte, dass er auch Dinge vergisst, die ihn jahrelang durch sein Leben begleiteten. Als ich ihm von unserem ehemaligen Haus in Höchst erzählte, in dem er fast 40 Jahre gewohnt hatte. Er kann sich nicht mehr daran erinnern. Es ist weg. Einfach weg. Ich war sehr erschrocken und seinem Blick nach hatte er es auch gemerkt. Aber sie ist weg, die Erinnerung.
Gestern habe ich Fotos rausgesucht und ausgedruckt. Aktuelle Fotos seiner Enkel, seiner Schwiegertochter und seines Sohnes. Ich habe die Namen in großen Buchstaben auf die Rückseite geschrieben und sie ihm vorbei gebracht. Er hat sich gefreut und sie gleich mehrmals durchgeschaut. Ein paar Fotos. Ein paar Fotos gegen das Vergessen.